Was heißt ‚Jahrgang‘ im Zusammenhang mit Wein? Der Jahrgang eines Weines bezeichnet nicht das Jahr, in dem er gefüllt wurde, sondern das Jahr, in dem die Weintrauben geerntet wurden, aus denen der Wein entstand. Und weil es in der Weinwelt keine Regel ohne Ausnahme gibt, stimmt das nur in 99 Prozent aller Fälle. Bei der Eisweinproduktion in Mitteleuropa kann es passieren, das Trauben bis in den Januar oder Februar des nächsten Jahres hinein am Rebstock hängen bleiben. Kommt es erst im Folgejahr zur Eisweinernte, trägt der Wein trotzdem den Jahrgang auf dem Etikett, in dem die ‚normale‘ Ernte stattgefunden hat. Eine universell korrekte Definition unterscheidet also am besten zwischen der Nord- und Südhalbkugel: Für Weine von der Südhalbkugel gilt, die Jahreszahl auf dem Etikett bezeichnet das Jahr der Ernte, Weine von der Nordhalbkugel tragen das Jahr der Blüte auf dem Etikett, was meistens auch das Jahr der Ernte ist, aber eben nicht immer.
Der Jahrgang ist neben der Lage und dem Erzeuger eine der wichtigsten Größen bei der Einschätzung eines Weines. Auch die besten Erzeuger können nicht hexen und produzieren in schwachen Jahren höchstens ordentlichen Wein, andererseits sind einige Lagen in schwächeren Jahren Garant für guten Wein. Aber der Reihe nach.
Die meisten Menschen behalten von vergangenen Jahren vor allem im Gedächtnis, ob der Sommer schön war und der Winter Schnee brachte – beides hat auf die Weinqualität denkbar wenig Einfluss. Die Rebe produziert auch in eher kühlen Jahren reife Trauben, solange nur der Herbst mild und halbwegs trocken ist. Auch spielt es eine große Rolle, wann die Blüte stattfindet, mithin kann ein warmer April und Mai, ein eher grauer Juni bis September und ein goldener Oktober einem Bewohner Mitteleuropas als schauriges Jahr in Erinnerung bleiben und trotzdem perfekten Wein hervorbringen. Andererseits können Wetterereignisse wie Starkregen, Hagel oder Sturm sehr punktuell verheerende Wirkung entfalten, ohne dass es gleich in der Zeitung steht. Dann hat man in Frankfurt einen Traumsommer erlebt, während einige Winzer in 100 Kilometer Entfernung bei einem einzigen Regenguss zur Unzeit während der Ernte ihre Weinqualität davonschwimmen sahen. Der Jahrgang hat also entscheidenden Einfluss auf und ist wichtiger Indikator für die Qualität eines Weines. Sich nur zu fragen ob der Sommer denn schön warm war, reicht aber nicht als Recherche. Und zu guter Letzt gibt es noch Ausnahmesituationen: die minderwertige Lage im Seitental, die in eigentlich zu heißen Jahren beste Qualität liefert oder der Steilhang, der das Wasser nicht hält, dessen Reben deswegen ständig Trockenstress leiden und der im verregneten Sommer auf einmal Weine vom anderen Stern ermöglicht. Viele Winzer betreiben regelrecht Portfolio-Management mit ihren Weinbergslagen und haben genau solche ‚Problemlagen‘ in Petto, deren Trauben in normalen Jahren in den Gutswein einfließen und die in extremen Jahren die Produktion der höherwertigen Weine erst ermöglichen. Deswegen gibt es kaum noch richtig schlechte Jahrgänge. Trinkbares findet man aus jedem Jahr. Der letzte Jahrgang, bei dem es Konsens gab, dass er wirklich schwach war, ist in Deutschland das Jahr 2000. Alle anderen Problemjahre, namentlich 2003, 2006, 2010 und 2013, haben Befürworter, die Stein und Bein schwören, das Jahr sei großartig und die Weine würden einer großen Zukunft entgegen reifen.
Es ist also der Zeitpunkt der Blüte, die Niederschlagsmenge und die Dauer/Länge der Vegetationsperiode, die den Jahrgangseinfluss vor allem bedingen. Daraus könnt Ihr leicht ableiten: in heißen, trockenen Gegenden wie Süditalien oder Teilen Spaniens, wo ein kühles Jahr bedeutet, dass es im Sommer 33 statt 37 Grad hat, und schon ein paar Tropfen Regen im Juli in die Geschichtsbücher eingehen, ist der Einfluss des Jahres eher klein. Solche Gegenden sind meist auch Heimat einfacher Weine. Die großen Weine der Welt zeichnen sich alle durch eine feine Säurestruktur aus, die in sich in zu heißen Gegenden nicht ausbildet. Die komplexesten Weine wollen lange bei gemäßigten Temperaturen reifen, etwa Cabernet Sauvignon oder Riesling und je länger die Vegetationsperiode, desto größer wird der Einfluss des (Herbst-)Wetters. Bei den eher frühreifen Sorten wie Chardonnay oder Pinot Noir sind es vor allem Weine aus den kühlen Anbaugebieten, die Weltruhm genießen: Champagne oder Burgund beispielsweise. Der Unterschied zwischen einem kühlen und heißen Jahr in der Champagne ist gigantisch und entsprechend groß ist der Einfluss des Jahrgangs auf die Weinqualität. Die extrem frühreifen Sorten sind weniger an den Jahrgang gebunden. Müller-Thurgau beispielsweise ist sechs Wochen vor dem Riesling reif und kann auch in kühlen Ecken bedenkenlos ein oder zwei Wochen länger hängen, wenn der Sommer unbefriedigend war, denn Anfang September herrscht auch in Deutschland noch kein großer Fäulnisdruck.
Bleibt die Frage, ab wann Ihr denn die Jahrgangsqualität einschätzen könnt. Das ist für die einfachen Alltagsweine sehr leicht: Sobald sie auf dem Markt sind, besorgt Ihr euch ein paar Flaschen und probiert. Meist geht es dabei eh um einfache Parameter: findet ihr den Jahrgang von der Säure her angenehm und in Sachen Körper und Alkohol ausgewogen? Diese Frage habt Ihr euch schnell beantwortet. Schwieriger wird es bei der Einschätzung der reifer/später gelesenen Weine. Da irren auch Profis regelmäßig. 1997 galt für Weine aus Bordeaux erst als ganz schwierig, dann hieß es, das Jahr sei viel besser als sein Ruf, dann präsentierten sich die Weine kurze Zeit richtig groß und auf einmal waren viele vor der Zeit gealtert. Das Jahr 2004 schließlich galt für trockene Spitzenrieslinge aus Deutschland lange als höchst mittelmäßig, bis irgendwann nach sieben oder acht Jahren eine große Zahl der Riesling GGs zu strahlen anfing, als hätte es all die unreifen Noten in den Weinen nie gegeben. 2008 war anfänglich ähnlich problematisch und zeigt heute einen hohen ‚Anmachfaktor‘, wie Wilhelm Weil es in unserem Interview so schön nannte.
Also haben wir Euch eine kleine Tabelle über die wichtigsten Anbaugebiete und die letzten sechs Jahre zusammengestellt, die Euch beim Weineinkauf eine Hilfestellung geben soll. Unsere Einschätzungen beziehen sich vor allem auf Weine der gehobenen Kategorien, also ab 10 Euro aufwärts (mit allen Einschränkungen, die wir in der Folge ‚Ist teurer Wein besser als billiger?‘ gemacht haben). Bei den ganz teuren Gewächsen tut Ihr gut daran, noch ein bisschen zu recherchieren und weitere Meinungen einzuholen. Vinopedia ist da häufig eine sehr gute Hilfe.
Und hier könnt Ihr die Jahrgangstabelle als PDF herunterladen.
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