Wein enthält Alkohol und Säure, zwei Stoffe, deren geschmackliche Wirkung stark von Ihrer Temperatur abhängt. Dazu enthält Wein Gerbstoffe und Tannine, die stark mit Sauerstoff reagieren. Also sind das Belüften von Wein und die Trinktemperatur Werkzeuge, mit denen Ihr einen Wein bearbeiten könnt. Wir sagen Euch, wie Ihr das gewinnbringend macht.
Bei nichts ist sich der Deutsche so sicher wie bei der Trinktemperatur von Wein: Rotwein bei Zimmertemperatur und Weißwein kühlschrankkalt. Das ist ja auch richtig, wenn man eine Zimmertemperatur zugrunde legt, die in Deutschland im Winter üblich war, als diese Regel aufgestellt wurde, also irgendwann zu Zeiten, als Deutschland noch ein Kaiserreich war. Damals gab es Kachelöfen, die das Patrizierwohnzimmer auf luxuriöse 18 Grad wärmten.
Selber machen: Genau diese 18 Grad sind die Temperatur, bei der Ihr einen guten Rotwein probiert – am besten den Merlot oder Tempranillo aus dem Probierpaket der Webweinschule, einen Wein mit eher viel Alkohol. Dann gießt Ihr ein zweites Glas ein, geht zum Spülbecken in der Küche, lasst sehr heißes Wasser ein und erwärmt dieses zweite Glas im Wasserbad auf 23 Grad. Wenn Glas Nummer zwei die Zieltemperatur erreicht hat, probiert Ihr die beiden Weine nebeneinander. Ihr werdet den Wein bei 23 Grad kaum runterbekommen, wenn Ihr einmal die kühlere Variante probiert habt. Um die Qualen zu erhöhen, könnt Ihr euch noch ein feines Stück Fleisch braten und dann die beiden Weine dazu probieren. Die Wucht mit der der warme Wein das Fleisch erschlägt, sollte den letzten Zweifler bekehren.
Leichtere Rotweine – die ‚Zechweine‘ aus unserem Rotweinüberblick – schmecken bei 16 Grad noch besser. Auf der Terrasse im Sommer zum gegrillten Fleisch probiert Ihr das einmal aus und wenn es Euch begeistert, dann vertieft die Ausnahmen, indem Ihr bis auf 14 Grad runtergeht und auch einfachere Pinots und Chiantis einbezieht, sonst bleibt einfach bei 18 Grad.
Bleibt die Sache mit dem Kühlschrank und dem Weißwein. Hier ist der Quantensprung neueren Datums. Bis vor 5 Jahren war Kühlschranktemperatur einheitlich definiert als 7 Grad Celsius. Doch fast alle Kühlschränke neueren Datums laufen bei 4 Grad und haben oft noch Gemüse- oder Fleischfächer mit niedrigerer Temperatur integriert. 4 Grad ist nur für ein Getränk aus unserem Themengebiet akzeptabel: Schaumwein. Einfachen Sekt, Cava und Co. könnt Ihr gerne bei 4 Grad einschenken. Einfach heißt hier: der einfache jahrgangslose Einstiegsprickler aller Erzeuger, selbst wenn der schon 15 Euro kostet. Durch die Kohlensäure präsentiert er seine Aromen auch bei Tiefsttemperaturen. Jahrgangsschaumweine und alle Arten von Champagner serviert Ihr mindestens 5 Grad wärmer.
Die klassische Kühlschranktemperatur kommt bei all jenen Weinen zum Einsatz, die wir im Überblick über Weißwein als Zechweine bezeichnet haben. Zwei Grad wärmer eignet sich hervorragend als Trinktemperatur für die Kategorie 2 unseres Überblicks – kein Beinbruch, wenn Ihr die etwas zu kalt einschenkt, warm wird der Wein von alleine. Nur beim Essen ist es ärgerlich, wenn der Wein zu kalt ins Glas kommt, denn während der Wein sich erwärmt, wird das Essen kalt. Bei zum Essen gereichten Wein nehmt Ihr die Flasche also eine viertel Stunde vor dem Servieren aus dem Kühlschrank (eine halbe, wenn der bei 4 Grad arbeitet).
Bleiben die dicken Brummer und fetten Schnecken. Einige von denen trinkt man erstaunlich warm. Ein in Ehren gereiftes erstes oder großes Gewächs aus dem Burgund schmeckt am besten, wenn die Trinktemperatur deutlich zweistellig ist – bis hin zu 14 Grad. Wir kennen aber auch Weinfreunde die diese Weine etwas kühler bevorzugen. Wir müssen das nicht diskutieren, das ist eh kein Anfängerstoff. Also vereinfachen wir die Kategorie 3 zu zwei Richtwerten. Wenn Ihr ein Großes Gewächs (GG) vom Riesling trinkt, ebenso einen Österreichischen Smaragd oder Elsässer Grand Cru dieser Rebsorte, schenkt ihn mit 9 Grad ein, zum Essen lieber etwas wärmer. Alle Weine, die von neuem Holz geprägt sind, verlassen die Flasche besser bei 11 Grad.
Wenn Ihr Wein alleine trinkt, dann bestimmt allein Euer Geschmack die optimale Trinktemperatur. Obige Regeln beziehen sich auf den Durchschnittsweintrinker und sind immer dann verpflichtend, wenn andere auch vom fraglichen Wein zu trinken bekommen. Zu kalter Wein schmeckt flach, weil die Kälte die Aromen unterdrückt. Rotweine und holzbetonte Weißweine werden dann bitter und sehr kratzig, manche auch ölig. Andere Weißweine schmecken nach gar nichts, teilweise ist das einzige, was noch schmeckbar bleibt, die Säure (obwohl die eigentlich auch durch die Kälte unterdrückt wird). Zu warmer Wein schmeckt meist alkoholisch (Glühwein), unangenehm süß, und zeigt eine in Nase und Mund dominierende Säure.
Selber machen: Nehmt Euch ein Rotweinglas und einen ordentlichen Schluck eines gut gekühlten vom Ausbau im Holzfass geprägten Weißweins. Probiert, schwenkt den Wein langsam warm und probiert immer wieder. Ihr seid keine Banausen, wenn Ihr den größten Genuss bei etwas niedrigeren Trinktemperaturen als den oben angegebenen verspürt.
Rotwein muss atmen, ist die andere weit verbreitete Weisheit über Wein und anders als bei der Geschichte mit der Zimmertemperatur fällt die Antwort einfach aus: stimmt. Die chemischen Prozesse lassen wir weg, die Wissenschaften haben wir in der letzten Folge ausreichend strapaziert. Für den Weineinsteiger stellt sich das Thema Weinbelüftung sehr einfach dar. So gut wie jeder junge Wein ist robust genug, zwei Stunden Belüftung zu vertragen. Viele werden geschmacklich dadurch besser, manche verändern sich nicht und schlechter wird kaum einer. Wenn Ihr einen Rotwein öffnet, der weniger als fünf Jahre alt ist, könnt Ihr ihn bedenkenlos belüften. Weißweine, die jünger als zwei Jahre sind ebenso. Wenn die Weine älter sind, empfehlen wir Euch, zwei Stunden vor dem eigentlichen Trinken den Korken aus der Flasche zu ziehen, einen Schluck zu probieren und dann zu entscheiden. Schmeckt er gut, kommt der Korken wieder drauf auf die Flasche und der Wein bleibt wo er ist. Schmeckt er karg, geizt mit Frucht, schmirgelt hartnäckig, dann belüftet Ihr ihn. Dafür stehen Euch zwei Methoden zur Verfügung. Entweder Ihr schüttet ihn in eine Karaffe oder Ihr nehmt euch eine leere, ausgespülte Flasche und einen Trichter und schüttet den Wein von einer Flasche in die andere und wieder zurück in die ursprüngliche. Die könnt Ihr danach wieder verschließen, es hat sich genug Luft im Wein gelöst, weiterer Kontakt zur Raumluft macht keinen Unterscheid.
Bei Rotweinen älteren Datums solltet Ihr beim Umfüllen vorsichtig sein und aufhören, bevor Ihr den eventuell vorhandenen Bodensatz mit ausgießt. Der kommt in den Ausguss und Ihr spült die Flasche kurz aus, bevor Ihr den Wein zurück füllt. Am einfachsten gestaltet sich die Übung, wenn Ihr sie vor einer Lichtquelle durchführt. Wenn jemand zusieht, dürft Ihr dafür gerne extra eine Kerze anzünden, wenn sich Eure Gäste damit beeindrucken lassen – uns ist das immer zu albern.
Eines bleibt Euch vermutlich nicht erspart: die Begegnung mit dem Dekantier-Karaffier-Besserwisser, der kommt in der Weinwelt nämlich ärgerlich häufig vor. Dieser wird Euch belehren, dass das einfache Umfüllen in eine Karaffe nicht dekantieren, sondern karaffieren heißt und das Hin-und-her-Füllen in Flaschen nicht dekantieren, sondern doppelt dekantieren. Lächelt, sagt Ja und spart Euch die Diskussion. Das ist Wichtigtuerei. Die Karaffe heißt auf Englisch Decanter, im Deutschen vollständig Dekantierkaraffe und irgendjemand hat mal angefangen zu behaupten, es gebe einen Unterschied zwischen dem Umfüllen zwecks Belüftung, Trennung vom Depot (so der Fachbegriff für den Bodensatz) oder optisch ansprechenderer Präsentation. Das stimmt nur dahingehend, dass in der Chemie das Dekantieren zwecks Trennung von Stoffen üblich ist. Eine entsprechende Unterscheidung beim Wein ist nirgendwo belegt. Nennt es also, wie Ihr wollt; ist alles richtig.
Gute Bordeaux benötigen manchmal zehn Stunden in der Karaffe, einige junge Weißweine gar anderthalb Tage. Deswegen sind die zwei Stunden kein Allheilmittel. Bedenkt jedoch: Man kann einen Wein zu Tode belüften. Deswegen geht hier nichts über eigene Studien.
Bei ganz alten Weinen spaltet sich die Weinwelt in zwei Lager: die einen meinen, man müsse sie belüften, damit sie den Muff aus den Klamotten schütteln können – war schließlich saueng in dieser kleinen Flasche, in der sie Jahrzehnte eingesperrt waren. Die anderen sagen, sehr alte Weine seien 15 Minuten nach dem Öffnen am schönsten. Da Ihr in der Anfangszeit solche Weine vermutlich als Gast serviert bekommt, Euch die Entscheidung also nicht obliegt, leisten wir uns den Luxus, keine Meinung dazu zu haben. Bis Ihr Eure ersten Schätze nach zwanzig Jahren aus dem eigenen Keller holt, hättet Ihr eh vergessen, was wir Euch dazu raten.
Und zu guter Letzt noch ein Tipp: Wenn keine Zeit für das Belüften bleibt, der Wein sofort verfügbar sein muss aber geradezu nach Luft schreit – 5 Minuten im Haushaltsmixer oder im Messbecher mit dem Pürierstab haben den gleichen Effekt wie zwei Stunden Luft. Probiert es aus.
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