Reifer Wein ist wunderbar. Das kann man deswegen so pauschal sagen, weil jeder Weintrinker eine eigene Definition von Reife hat. Der eine hält trockenen Riesling nach drei Jahren für reif, der andere nach dreizehn (wenn ersterer ihn vermutlich als hinüber erachtet). Insofern kommen wir am Beginn der Diskussion über reifen Wein nicht um ein paar Definitionen und grundsätzliche Beschreibungen umhin. Aber wir machen keine Chemievorlesung aus reifem Wein. Die wesentlichen Prozesse bei der Reifung von Wein sind Veresterung und Polymerisation. Oxidation spielt auch eine Rolle, vor allem, wenn der Verschluss der Flasche undicht wird und frische Luft an den Wein kommt.
Esterbildung oder Veresterung betrifft vor allem das Thema Säure, Süße und Aromen. Der Prozess setzt die Anwesenheit von Alkohol voraus. Reife Weine schmecken weniger süß, sofern sie jung Süße aus Zucker oder fruchtigen Aromen zeigten. Süße aus hohem Alkohol- oder Glyzeringehalt bleibt länger bestehen. Auch die Säure integriert sich oft besser, bevor dann bei ganz alten Weinen die ‚Alterssäure‘ in den Vordergrund tritt. Fruchtaromen verblassen mit der Zeit, würzige Aromen kommen dazu und erhöhen die Komplexität. Deswegen sind auch so wenige Weine lagerfähig: alles, was von Frische und Frucht lebt, verliert bei dieser Transformation an Attraktivität. Die Polymerisation bewirkt ein ‚Abschmilzen‘ von Gerbstoffen wie etwa dem in jungen Rotwein oft arg austrocknendem Tannin. Ältere Weine werden tendenziell weicher.
Es gibt keine objektive Definition von Weinreife. Wir unterscheiden zwischen gereiftem und reifen Wein. Gereifter Wein ist nach unserer Definition jeder Wein, der seine Aromatik gegenüber dem Jungweinstadium so deutlich verändert hat, dass ein durchschnittlicher Weintrinker in einer Blindverkostung sagen würde: ‚Das ist aber nicht der aktuelle Jahrgang, der ist schon ein bisschen älter.‘ Reifer Wein ist dann so weit gereift, dass man mit dem Trinken besser nicht länger wartet. Und wie beim Obst, wo der eine die Banane erst essen mag, wenn Sie braun und leicht glitschig wird, während der andere sagt: die gehört in den Müll, ist der optimale Reifepunkt Geschmacksache. Für dieses ‚drüber sein‘ gibt es beim Wein allerdings deutliche Symptome und die kann man halbwegs objektiv feststellen.
Weißwein nimmt aromatisch erdige Noten an, wenn er sehr reif ist. Firne nennt man diesen Eindruck. Dosenchampignons oder Blumenerde sind gängige Beschreibungen für diese leicht muffigen Noten. Ob ein Weißwein Firne zeigt, kann man relativ objektiv feststellen. Es ist dann aber Geschmackssache, ob einen diese Firne so stört, dass man sagt, der Wein ist hinüber. Bei Rotweinen sieht die Sache anders aus. Zu weit gereifter Rotwein schmeckt einfach dünn und müde. Allerdings findet der eine müde, was dem anderen zurückhaltend-elegant erscheint.
Die ältesten noch trinkbaren Weine, die in irgendwelchen Kellern dieser Welt liegen, sind allesamt Weißweine, meist Süßweine. Der hohe Zucker macht die Weine langlebiger als es Farbstoff und Tannin mit Rotweinen tut. Aber es gibt einen Unterschied zwischen vergnüglich und genießbar. Die besten edelsüßen Weine mögen 250 Jahre alt werden können, die allerwenigsten bringen aber selbst als Hundertjährige noch Spaß. Und Jahrgänge, die so langlebige Weine hervorbringen sind extrem selten. 1921 ist ein Jahrgang, aus dem man auch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts noch großartige Süßweine findet. Die ältesten noch halbwegs vergnüglichen Rotweine mögen ‚nur‘ aus den 1850ern stammen, dafür ist die Zahl der Weine und Jahrgänge, die das Potential für 50-70 Jahre Reife haben etwas größer als bei den weißen.
Allerdings beziehen sich alle diese Angaben auf ungespritete Weine. Sherry, Port und Madeira können noch älter werden.
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