Noch vor wenigen Jahren war Mineralik im Wein eine Randnotiz der Weinwelt, die man in einem Weinkurs für Einsteiger verschweigen oder in drei Zeilen hätte abfrühstücken können. Doch das hat sich geändert. Mineralik lauert an jeder Ecke und hat eine solche Bedeutung gewonnen, dass wir ihr ein eigenes Video gewidmet haben. Der Themenkomplex Mineralik im Wein ist vor allem eine Frage von Meinungen, denn belegbare Sachverhalte und eindeutige Herleitungen sind selten. Das geht schon beim Begriff los.
Einige Weinfreunde und Winzer verwenden nicht das Wort Mineralik, sondern Mineralität. Die direkte Übersetzung des Englischen ‚minerality’ stand vermutlich Pate für das Wort Mineralität. Außerhalb der Weinwelt findet man dieses Wort in der deutschen Sprache nicht. Etwas verbreiteter in anderen Bereichen des Lebens ist da schon das Wort Mineralik und so wollen wir diese Eigenschaft im Folgenden auch nennen, was nicht heißt, dass Ihr nicht Mineralität sagen dürft.
Die gängige Fabel von der Mineralik geht so: Der Rebstock wurzelt tief im Boden auf dem er steht. Seine Wurzeln lösen aus dem Boden ‚Mineralik‘ und transportieren sie über den Rebstock in die Trauben. Je mineralischer der Boden, desto mehr gibt es zu transportieren, je älter der Rebstock und tiefer die Wurzel, desto besser gelingt ihm das. Also preist der Winzer seinen Boden als besonders mineralisch und seine Reben als besonders tief wurzelnd, denn all das führt zum Qualitätsmerkmal Mineralik. Zur Anreicherung kommen oft noch Geschichten von ‚Sedimentgesteinen‘ wie Schiefer oder Muschelkalk zum Einsatz. Da diese aus fossilen Überresten entstanden sind, sollen sie besonders mineralisch sein, quasi als Stein gewordener Kompost.
Leider stimmt an dieser Erklärung so manches nicht. Das Wichtigste: Minerale und Mineralstoffe sind zwei verschiedene Dinge. Minerale sind vereinfacht gesagt kristalline Verbindungen, die durch geologische Prozesse entstehen, Mineralstoffe sind hingegen anorganische Nährstoffe, die der Organismus zum Überleben braucht aber nicht selber herstellen kann. Sie werden in Mengenelemente und Spurenelemente unterteilt. Mengenelemente braucht der Organismus in großen Mengen – beispielsweise der Mensch Calcium. Spurenelemente nur in winzigen Dosen – wir Menschen etwa Eisen oder Zink. Ein mineralischer Boden ist also nicht zwangsweise guter, mineralstoffreicher Nährboden. Marmor zum Beispiel besteht nur aus Mineralen, (Quartz-)Sand und Kiesel sind ebenfalls reine Minerale. Am Strand und auf Kieselhalden wächst aber nichts, weil Sand und Kiesel eben keine Nährstoffe enthalten. Auch ist die Rebe kein Schaufelbagger mit kleinen mechanischen Vorrichtungen an den Wurzeln, die irgendetwas aus dem Boden buddelt. Die Mineralstoffe, die die Rebe aufnimmt, also vor allem Calcium, Kalium, Phosphor, Schwefel etc. nimmt Sie über das Wasser auf oder entzieht es dem Boden über Ionenaustausch – letzteres funktioniert auch mit Gestein oder Mineralen. Aber die Rebe würde sie auch aufnehmen, wüchse sie in Blumenerde oder anders ausgedrückt, verwehrt man ihr diese, geht sie ein, da unterscheiden sich Weinreben nicht von Apfelbäumen.
Geschmacklich macht sich Mineralik durch einen mal kalkigen, mal kreidigen, mal stoffigen, mal schlanken, mal schmirgelnden, mal seidigen Geschmackseindruck bemerkbar. Außerdem ist es in den letzten Jahren sehr populär geworden Weine salzig zu finden ‚Jodig‘ ist ebenfalls stark im Kommen. Dazu riechen Weine immer häufiger nach nassem Stein oder schmecken, als würde man ‚an einem Stein lutschen‘. Manche Weinfreunde machen es sich leicht. Für sie ist ‚mineralisch‘ ein Sammelbegriff für alles, was nicht Säure, Zucker, Alkohol, Frucht oder Tannin ist. Mineralik spielt auch eine große Rolle beim Begriff des Terroir, der ebenfalls schwammig ist und in etwa einen schmeckbaren geologisch-klimatischen Gesamtkontext für einen Wein darstellen soll. Dem Terroir widmen wir uns aber mal in einer anderen Folge. Sowohl bei der Ursache als auch bei der Wirkung von Mineralik kursieren also Geschichten, die zumindest stark von Meinungen und weniger von belastbaren Fakten geprägt sind.
Eines ist allerdings unstrittig: es gibt bei vielen Weinen diesen seidig-schmirgelnden Geschmackseindruck. Kritiker der Theorie von der Mineralik schieben diesen allein auf den im Wein enthaltenen Schwefel und die Polyphenole, also organische Verbindungen. Wer Recht hat, ist noch offen. Die Geschmacksforschung hat Anhaltspunkte, dass der Mensch eventuell Kalium- und Magnesium-Ionen geschmacklich wahrnehmen kann und Kalium ist reichlich drin im Wein. Gut möglich, dass wir also noch eine Antwort auf die Frage bekommen, die derzeit Gegenstand von Meinungen und Gefühlen ist.
Wenn die Mineralik von Phenolen stammt, spielt der Boden dann gar keine Rolle? Doch, ganz bestimmt. Zum einen ist er entscheidend an der Wasserversorgung der Rebe beteiligt und diese stellt ihren ganzen Bio-Rhythmus (so viel Esoterik muss sein) nach der Verfügbarkeit von Wasser und Licht ein. Dann ist der pH-Wert des Bodens eine Einflussgröße im Wachstums- und Reifezyklus der Trauben und auch für die optimale Nährstoffversorgung wichtig (weil er den Ionenaustausch hemmt oder befördert) und letzten Endes hat die Fähigkeit zur Wärmespeicherung und Reflexion des Sonnenlichtes noch erheblichen Einfluss. Trinkt man mehrfach Rieslinge von eisenreichem und eisenarmem Schiefer parallel, die an der Mosel keine zwei Kilometer voneinander entfernt wachsen, so schmeckt man Unterschiede, die unabhängig vom Jahrgang erkennbar sind. Das ist aber mit Sicherheit nicht auf den Eisengehalt der Weine zurückzuführen. Eisen schmeckt nach nichts und die Eisenkonzentration in Lebensmitteln ist sowieso nicht schmeckbar. Eisenreicher Schiefer ist aber deutlich rostbraun gefärbt (er heißt deswegen Rotschiefer), der ‚normale‘ Schiefer dunkelgrau (entsprechend Grauschiefer betitelt). Die Fähigkeit zur Sonnenlichtreflexion und Wärmespeicherung unterscheidet sich erheblich. Und die Umgebungstemperatur hat zum Beispiel Einfluss auf die Zellveratmung von Äpfelsäure – je wärmer, desto schneller schreitet dieser Prozess fort. Dass der fast schwarze Grauschiefer also nach Sonnenuntergang noch zwei Stunden länger gespeicherte Wärme abgibt, hat erheblichen Einfluss auf die Säurestruktur des Weines und damit auf den Geschmack. Tagsüber gibt es im roten Schieferhang dafür mehr Streulicht, welches die Fotosynthese befeuert.
Fassen wir zusammen: Wein enthält Mineralstoffe, zwischen 1,5 und 3 Gramm pro Liter, vergleichbar mit gutem Mineralwasser, weniger als Milch. Diese Mineralstoffe sind vielleicht schmeckbar. Dazu haben die diversen Esther, die Aldehyde, die polymerisierten Phenole, die Reste der Hefen und auch der zugesetzte Schwefel haptisch/taktile und geschmackliche Auswirkungen, die in der gleichen Klasse wie die Mineralik spielen – also kratzende, raue oder manchmal seidige Geschmackseindrücke, die nicht mit Frucht, Zucker, Säure, Alkohol oder Tannin erklärbar sind. Auch die Zusammensetzung dieser Inhaltsstoffe-Mixes hängt stark vom Boden ab, auf dem der Wein wächst.
Der Weinanfänger ist gut beraten, sich sein eigenes Bild von Mineralik zu machen. Es gibt gestandene Profis, die das gesamte Konzept ablehnen und solche, die von nichts anderem mehr reden wollen. Ihr könnt der Mineralik also gerne hoffnungslos verfallen. Nur wenn wieder einer von den kleinen Schaufelbaggern in den Rebwurzeln anfängt, dann verlasst Ihr die Veranstaltung bitte unter Absingen schmutziger Lieder.
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