‚Dieser Wein ist im Barrique ausgebaut‘ (oder ‚im Holzfass‘) ist einer der häufigsten Sätze, den Ihr von Winzern oder Weinhändlern hören werdet, wenn Ihr euch beraten lasst und er soll bei Euch als Qualitätsaussage ankommen. Ist es eine? Unbedingt, allerdings zunächst einmal auf einfachstem Niveau. Industriekellereien verwenden keine Holzfässer, erst recht keine Barrique-Fässer (dazu unten mehr). Der Euch angepriesene Wein ist also das Produkt eines halbwegs handwerklich arbeitenden Erzeugers. Allerdings gibt es Weine, die eine Gesamtauflage von mehreren Hunderttausend Flaschen im Jahr erreichen und auch aus dem Holzfass stammen. Wahnsinnig hoch ist das Niveau also noch nicht, das die Aussage vom Holz oder Barrique manifestiert.
Viel wichtiger: Es ist eine brauchbare Information über den Stil eines Weines. Um die tieferen Zusammenhänge verständlich herzuleiten, starten wir mit einem einem kleinen Exkurs über die Bedeutung von Sauerstoff bei der Weinbereitung, denn dieser ist prägend. Vermeidet der Winzer mit großem Aufwand den Luftkontakt seines Mostes (vor der Gärung) und des Weines (vor der Füllung), so spricht er von ‚reduktivem Ausbau‘ oder reduktiver Weinbereitung. Während der Gärung muss niemand den Most vor Luftkontakt bewahren, da das entstehende CO2 schwerer als Luft ist und sich schützend über die Flüssigkeit legt, unabhängig davon, ob diese in einem Tank, einem Fass oder einem Bottich vor sich hin blubbert.
Reduktiver Ausbau schont Fruchtaromen, so kann man es vereinfachen. Um die Frucht noch weiter zu bewahren, kühlen die meisten Winzer die Moste während der Gärung, da diese die Flüssigkeit erheblich erwärmt und Wärme Frucht zerstört. Auch führt Kühlung zu einer langsameren Gärung, was noch einmal schonend wirkt. Die maximale Fruchtausbeute erzielt der Winzer, wenn er den Most unmittelbar nach der Pressung mit etwas Schwefel als Oxidationsschutz versetzt und ihn danach temperaturkontrolliert im Edelstahltank zu Wein vergärt. Das Ergebnis ist manchmal so fruchtig, dass es quietscht und Aromen von Litschi und Eisbonbon sind eine häufige Begleiterscheinung. (Ihr dürft diesen Aromenmix auch Gummibärchen nennen). Da dieser Prozess ein relativ technischer ist, lehnen viele Freaks ihn ab. Er widerspricht halt der romantischen Vorstellung von Weinbereitung. Gerade bei den in Deutschland gängigen Rebsorten Müller-Thurgau, Weißburgunder und Riesling setzen aber auch sehr gute Erzeuger auf das Verfahren. Weißwein erfährt diese Behandlung häufiger als Rotwein.
Das Gegenteil wäre der oxidative Ausbau, bei dem der Winzer den Luftkontakt fördert. Er kann das einfach durch Unterlassen der Abwehrmaßnahmen machen oder gezielt eine Belüftung des Mostes auf allerlei Arten vornehmen. Extrem oxidativ ausgebauten Wein lassen wir hier einmal außen vor, da es sich dabei um eine kleine Nische handelt (bezüglich normaler Stillweine, Sherry und Co. sind mehrheitlich oxidativ geprägt, aber die vernachlässigen wir in unseren Videos ja generell). Die häufigste Form der einfachen oxidativen Weinbereitung ist der Ausbau im Holzfass – beim verwendeten Holz handelt es sich fast immer um Eiche. Das veratmet einen Teil der Flüssigkeit und lässt im Gegenzug Luft hinein, da Holz in der Dicke einer Fassdaube nicht gasdicht ist.
Um den Wein nicht völlig unkontrolliert sich selbst zu überlassen, wenden die meisten Winzer auch beim Holzfassausbau ein paar Schutztechniken an. Mit speziellen Vorrichtungen kühlen sie den Most während der Gärung. Mostschwefelung und frühe Schwefelgabe nach der Gärung limitiert auch hier den Einfluss des Luftkontaktes und bei der mehrere Monate bis Jahre dauernden Fasslagerung und -reifung, während der der Sauerstoff seine Arbeit verrichtet, belässt der Winzer die abgestorbene Hefe ganz oder teilweise im Holzfass. Diese nimmt einen Teil des Sauerstoffs auf. Zu guter Letzt legt er vor der Lagerung eine Reserve des Weines in kleineren Behältern an und gleicht mit diesem den Flüssigkeitsverlust aus, so dass sich keine Luft im Weinfass breit machen kann. Mit diesen Maßnahmen erreicht er, dass sein Wein trotz Luftkontakt eine schöne Frucht behält – nicht so üppig wie ein reduktiver Wein aber keinesfalls schwachbrüstig.
Und der Lohn der Mühe? Mannigfaltig! Erstens erscheinen diese Weine aus dem Holzfass oft etwas stoffiger, in der Konsistenz schmelziger oder cremiger, dann sind sie konzentrierter, denn es verdunsten nur flüssige Bestandteile (für diesen Schwund haben sich die Winzer bei ihren Kollegen aus der Whiskyproduktion den Begriff ‚Anteil der Engel‘ geborgt). Der lange Hefekontakt wirkt zusätzlich intensivierend, Hefeextrakt ist schließlich ein auch in der Lebensmitteltechnik verwendeter Geschmacksverstärker. Durch den Luftkontakt in der Kinderstube reifen diese Weine auch später würdevoller (was strittig und nicht final bewiesen ist) und reagieren, jung getrunken, weniger allergisch auf Sauerstoff, sprich sie halten in der angebrochenen Flasche etwas länger.
Im Weinpaket der Webweinschule findet Ihr zwei Weißweine aus der Chardonnay-Traube, einer im Edelstahl und einer m Holz ausgebaut. Probiert die beiden nebeneinander und Ihr werdet verblüfft sein, wie extrem der Einfluss ist und wie leicht man ihn erkennt.
Zwei wichtige Aspekt des Holzfassausbaus fehlen uns noch. Der erste – und sehr wichtige – Parameter ist die Größe des Fasses. Da das Fass, wenn wir es einmal als Kugel idealisieren, seine Fläche mit der zweiten Potenz des Radius vergrößert, das Volumen aber mit der dritten, ist die mit Flüssigkeit in Berührung kommende Holzfläche pro Liter Wein bei einem größeren Fass viel kleiner als bei einem kleinen. Das kleinste im Weinbau häufig verwendete Eichenholzfass ist das Barrique. Es hat ein Fassungsvermögen von nur 225 Litern. Die nächstgrößeren Gebinde gehen meist ab 500 Liter los und gehen bis über 1000 Liter. Sie haben regional unterschiedliche Namen: Tonneaux, Pièce, (Halb-)Stück, Fuder und dergleichen.
Der letzte zu beachtende Aspekt ist das Alter des Fasses. Ein neues Eichenholzfass bewirkt zusätzlich zu all den oben genannten noch den Effekt, dass es den Wein aromatisiert. Der Wein schmeckt nach Holz und Rauch, denn die Fässer werden vor der Verwendung ausgebrannt (was tatsächlich ‚getoastet‘ heißt). Je nach Grad des Toastings ist dieser Effekt mehr oder weniger spürbar. Der im Holz enthaltene Zellstoff produziert dabei geringe Mengen Karamell und auch das ist häufig schmeckbar. Dazu enthält Eichenholz Vanillin, welches in den Wein übergeht. Auch hier tritt der Effekt beim Barrique stärker in Erscheinung als bei größeren Fässern.
Selbst bei einer zweiten oder dritten Verwendung gibt das Fass noch Aromen ab, man spricht dabei von Zweit- oder Drittbelegung. Danach ist es geschmacksneutral, was in der Fachsprache ‚weingrün‘ heißt. Auch Tannin geht vom Holz in den Wein über. Da der Luftkontakt gleichzeitig eine Oxidation und Ausfällung bewirkt, spielt dieser Prozess bei Rotwein eine untergeordnete Rolle. Untersuchungen haben ergeben, dass Rotweine im Schnitt nach dem Ausbau im Barrique weniger Tannin enthalten als vorher. Weißweine, die vor dem Barrique-Ausbau kaum Tannin haben, verändern sich stärker.
Fässer kosten richtig viel Geld. Für einen zu 100% in neuen Barriques gehobener Qualität produzierten Wein belaufen sich die Mehrkosten auf drei Euro pro Flasche allein für das Barrique. Dazu kommen der Schwund, die Kapitalbindung über den Lagerzeitraum und die Zeit für die Mehrarbeit.
Deswegen hat die Kellertechnik-Industrie erhebliche Entwicklungszeit in Alternativen gesteckt. Computergesteuerte Stahltanks mit absichtlicher Luftzufuhr und der Einsatz von Holzchips, die einfach wie Teebeutel in den Wein geworfen werden, simulieren Barriques und erzielen verblüffend ähnliche Effekte zu einem Bruchteil der Kosten. Als ambitionierter Weinfreund muss man das natürlich verdammen, denn weiter weg von Weinromantik geht es nicht mehr. Wer des ewigen Empörens über ‚die Industrie‘ oder ‚die Konzerne‘ müde ist, nimmt es einfach zur Kenntnis, besorgt sich einen ‚gechipsten‘ Wein und macht sich sein eigenes Bild. Das ist nicht einfach, weil im Zeitalter des ‚Shitstorms‘ kaum ein Produzent freiwillig angibt, dass er auf High-Tech setzt.
Der schmeckbare Einfluss der Eigenaromen des Barrique-Fasses auf den Wein schwindet mit der Zeit. Nach zehn Jahren schmecken die wenigsten Weine noch nach originären Holzaromen. Den sonstigen Einfluss auf das Geschmacksbild verlieren die Weine allerdings nie.
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