Alte Reben wurzeln tief. In der Tiefe des Gesteins schlummern die meisten Nähr- und Mineralstoffe. Also geben alte Reben besonders stoffigen und mineralischen Wein. Das ist im wesentlichen die Geschichte, die diejenigen über Wein aus alten Reben erzählen, die ihn verkaufen (wollen). Leider stimmt die Geschichte nicht. Aber es ist auch kein reines Marketing, der Verweis auf alte Reben. Aber der Reihe nach.
Der Begriff ‚Alte Reben‘ ist nicht weinrechtlich definiert. Es gibt so etwas wie einen Trend zur 35. Die meisten Weine, deren Etikett den Hinweis auf seniorige Pflanzen trägt, stammen von Reben die mindestens 35 Jahre alt sind. In Deutschland. In Frankreich, wo sich der Hinweis auf Vieilles Vignes auch auf so manchem Weinetikett findet, reichen oft ein paar weniger Jahre.
Der Grund ist einfach: Reben tragen ab einem Alter von gut 20 Jahren immer weniger Trauben. Winzer roden Rebanlagen rund alle 30 Jahre und pflanzen dann neu. Der Grund hierfür liegt in der Reberziehung an Pfählen oder in Drahtrahmen, die im Winter einen Rebschnitt erforderlich machen. Dieser Rebschnitt verändert die Pflanze dahingehend, dass sie irgendwann weniger Trauben trägt. Andere Erziehungsarten, wie die in Teilen Italiens übliche Pergola-Erziehung, zeigen diesen Effekt viel später. Nicht geschnittene Reben tragen auch im hohen Alter reichlich Trauben. Die ältesten Rebstöcke der Welt sind über 400 Jahre alt.
Alte Reben sind also aus Sicht des Winzers Reben, die schon so alt sind, dass man sie eigentlich roden würde. Dass er es trotzdem nicht tut hat meist einen einfachen Grund: sie erzeugen besonders gute Trauben. Der Wein ist also nicht (unbedingt) gut, weil er von alten Reben kommt, sondern die Reben dürfen so alt werden, weil sie so gute Trauben liefern. Dabei spielt auch eine Rolle, dass fast alle Winzer bei ihren besseren Weinen sowieso auf niedrige Erträge setzen. Je nach Anbaugebiet dürfen Weinproduzenten aus einem Hektar Weinberg Trauben für 10.000 bis 15.000 Liter Wein ernten. Für ihre besseren Weine beschränken sie sich selbst auf 5000 Liter. Auch sehr alte Reben kriegen diesen niedrigeren Ertrag noch hin.
Ein Grund für die gute Traubenqualität manch alter Rebe sind tatsächlich die tiefen Wurzeln, denn sie verbessern die Wasserversorgung. Die Nährstoffe zieht die Rebe aus den oberen Wurzeln, die in der Humus-Schicht stecken. Diese Nährstoffaufnahme kommt zum erliegen, wenn der Boden austrocknet. Alte Reben können dann aus tieferen Schichten Wasser in die oberen Wurzeln transportieren und weitermachen wie bisher. Diesen Vorteil spielen die Reben allerdings nur in Jahren mit extremer Trockenheit aus, die wir in unseren Breiten geraden zwei bis drei Mal pro Jahrzehnt erleben.
Ein anderer, jedes Jahr relevanter Vorteil ist der Einfluss des Rebalters auf die Traubenform. Alte Reben tragen lockerbeerige Trauben mit eher kleinen Beeren. Das verschiebt das Verhältnis Fruchtfleisch/Saft zu Beerenhaut zugunsten der Schale, in der besonders viele Geschmacksstoffe sitzen. Daher können alte Reben unter Umständen tatsächlich die stoffigeren Weine ergeben.
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